Bogota lässt mich nicht los. Aber es ist weniger der Reiz der Stadt, der tatsächlich überschaubar ist, als das schlechte, teilweise unwetterartige Wetter. Irgendwann breche ich aber auf, um endlich wieder Strecke machen zu können. Dieser Plan wird aber relativ bald jäh unterbrochen.
Als erstes geht es nach Villa de Leyva, das trotz so mancher Touristenbusse seinen Charme erhalten konnte, da es eher fernab im Hinterland gelegen ist und weitestgehend seine historischen Bauten gegen alle Modeerscheinungen bewahrt.
Ein wenig durch die Gassen wandern und ne Erfrischung zu mir nehmen, um dann das nächste große Ziel Medellin ansteuern zu können. Auf den kleinen, meist zerstückelten Straßen durch nicht enden wollenden Wäldern und über unzählige Hügel ist wenig los, weswegen ich dann doch gut voran komme.
Die Straßenbelag ist abwechslungsreich. Manchmal geteert, manchmal nicht, manchmal irgendwas dazwischen. Nach einer gewissen Zeit finde ich den Rhythmus, so dass ich zwar zügig unterwegs bin, aber trotzdem für den Fall der Fälle noch irgendwie reagieren könnte. …man beachte das Wort „könnte“… Auf einem der ungeteerten Passagen, unmittelbar bevor der Asphalt wieder beginnt, rutscht ohne Vorwarnung mein Vorderrad weg. Soweit nicht dramatisch. Das Problem ist nur, das der Sturzbügel sich in die Kante der leicht höher liegenden Asphaltschicht einhakt, wie nichts wegbiegt, den Zylinderschutz mitreisst und keinen Schutz für den linken Zylinder mehr bietet. Wäre es einen halben Meter später passiert, wäre ich einfach nur etwas gerutscht und alles wäre gut. So habe ich einen Schaden, der mit einfachen Bordmitteln nicht zu lösen ist: Der Zylinderdeckel ist gebrochen und nahezu das gesamte Motoröl läuft innerhalb weniger Sekunden aus. Und das inmitten von Nirgendwo.
Kein Handyempfang, kein Internet, keine Stadt in der Nähe. Einheimische, die gerade vorbei kommen, helfen mir, die Maschine von der Straße zu bekommen und begutachten mit mir den Schaden…und sind ne Minute später wieder weg. Aber nicht um Hilfe zu holen, sondern um weg zu sein. Ein kleiner Bus mit ein paar Pilgern kommt vorbei. Aufgeregt stürmen sie aus dem Bus und haben zig Ideen, wie man mir helfen könnte: Im nächsten Dorf wohnt die Schwester eines Pilgers. Ihr Mann hat einen kleinen Laster. Der könnte mich bis zur nächsten Werkstatt bringen und ich könnte bei ihm dann schlafen. Jemand anderes hat einen Freund bei BMW Bogota. Er würde ihn anrufen, ihm mitteilen, welche Teile ich bräuchte und er würde sie dann per „Chicken Bus“ hierher schicken. Dauert einen Tag. Klingt alles gut. Nur machen sollte man es! Mit tausend Versprechungen steigen alle wieder in den Bus. In spätestens einer Stunde, würde wieder mindestens einer von ihnen kommen und mir mitteilen, was am ehesten funktionieren könnte. Sie müssen jetzt halt erstmal wo hin, wo es ausreichenden Handyempfang gibt. Ich schiebe derweil meine Maschine zur nächsten Hütte, wo ich sie mit Erlaubnis des Ehepaares, die darin wohnen, erst mal unterstellen kann.
Ich warte eine Stunde. Nichts. Zwei Stunden. Nichts. Naja, dann halt Plan B. Plan B entsteht allerdings erst bei der Umsetzung. Kurzum: Ich halte den nächsten Bus an, der vorbei kommt, fahre zur nächsten größeren Ortschaft und frage mich durch, wie ich entweder nach Medellin oder Bogota komme. Es ist zehn Uhr nachts und ich erwische noch die letzte Verbindung nach Bogota. Vier Stunden später stehe ich dort, wo ich tags zuvor losgestartet bin. Ab zum BMW Händler meines Vertrauens. Der hat allerdings die Teile nicht und schickt mich zum Warenlager, die angeblich nach einem Telefonat schon alles vorbereitet haben sollen. Kaum dort angekommen, dauert es auch nur noch knapp drei Stunden, bis mir der Mitarbeiter freudestrahlend die Teile in die Hand drückt. Ich strahle mit ihm! Es ist der letzte passende Zylinderdeckel in ganz Kolumbien (plus Nachbarländer, wie er mir erzählt). Man muss auch mal Glück haben! Vor lauter Freude mach ich den Karton auf, um den „Triumph“ zu genießen…äh…Moment mal: Das ist aber die falsche Seite. Kurze Diskussion, hektische Schritte ins Lager…als der Mitarbeiter wieder zurück kommt, braucht er kein Wort zu sagen… ich sehe es an seinem Gesicht: Sie haben den richtigen Zylinderdeckel nicht. Weder hier, noch in ganz Kolumbien. Es würde knapp vier Wochen dauern, bis der richtige Zylinderdeckel aus Deutschland ankommt. Mit einem traurigen Lächeln, aber mit einem Lächeln zeigt er mir die Ausgangstür. Aber so einfach lass ich mir den Traum von der Panamericana nicht nehmen. Probleme gehören zu einem Abenteuer, das ist normal. Man muss nur gewillt sein, Lösungen zu finden. Also Brainstorming: Es gibt keinen neuen linken Zylinderdeckel. Ok. Das ist Fakt. Ein rechter Zylinderdeckel passt nicht. Auch ok. Das ist ebenfalls Fakt. Aber gibt es die Möglichkeit von irgendwoher einen gebrauchten linken Zylinderdeckel zu bekommen? Jetzt leuchten auf einmal die Augen des Mitarbeiters, stürmt weg und kommt mit dem Telefon wieder. Dann spreche ich mit dem deutschen Aftersales Leiter von Autogermana BMW Colombia und knapp ne Stunde später halte ich den passenden Zylinderdeckel in meinen Händen! Sie haben kurzerhand den Deckel von einen ihrer Testmaschinen abgebaut. Das Trinkgeld für die Kaffeekasse fällt dieses Mal richtig ordentlich aus. Nochmals an dieser Stelle ein herzliches Dankeschön an Autogermana BMW Colombia!
Zurück geht es durch die Nacht mit Überlandbussen durch die Wälder bis ich irgendwann die Gegend des Missgeschicks wieder erkenne und aussteige. Das Ehepaar schläft schon, bei dem mein Motorrad geparkt ist, weswegen ich mich kurzerhand mit meinem Schlafsack zu meinem Motorrad lege, um dann bei Morgengrauen die Reparatur vorzunehmen. Mit dem Hahnenkrähen erfolgt dann auch das erste wiedererweckte Fauchen des Beasts. Nur der Sturzbügel passt beim besten Willen nicht mehr an seine angedachte Stelle. Aber vielleicht gibt es ein zweites Leben als „moderne Kunst“!? Letztlich wird es einige Zeit später Walter, ein engagierter Mechaniker in Cali (Kolumbien) mit viel Eifer, Schweiß und Schweißbrenner soweit zurecht biegen, so dass der Sturzbügel wieder montiert werden kann.
In Medellin angekommen, wartet ein alter Bekannter auf mich: Regen. Danke…wäre nicht nötig gewesen. Auch wenn die Stadt sehr reizvoll sein soll, Regen braucht’s jetzt erstmal nicht. Daher breche ich alsbald weiter Richtung Süden auf und gönne mir ein Bad in einer Naturtherme und eine Tour bei einer Kaffeeplantage. Letzteres organisiert mir der motorradbegeisterte Hausherr des Gasthauses, wo ich unterwegs nächtige. Anstatt eines Massentourismusprogramms gibt es eine Individualtour für mich und meiner Kaffeebegeisterung. Von Früchte pflücken über Kaffeerösten bis hin zum Kaffeetrinken: Alles darf ich selbst machen! Hurra! …äh…wofür zahl ich denn dann? Tatsächlich war es eines der besten und informativsten Touren, die ich jemals gemacht habe. Eigentlich waren zwei Stunden angesetzt und nach vier Stunden ging es immer noch weiter…und es fühlte sich lediglich wie ne halbe Stunde an.
In Cali gönne ich mir etwas Kunst und Kultur, versuche mich erfolglos im Wurfspiel „Sapo“ (man kann noch so hoch führen…am Schluss schlagen einen die Einheimischen dann doch) und lasse unzählige Möglichkeiten aus, meine nicht vorhandenen Kenntnisse in Salsa der Welt zu zeigen. Die Gefahr, dass mein eleganter Hüftschwung die Massen bewegt und zu einer Revolution führen könnte, ist zwar gering, aber man will ja nichts unnötig riskieren.
Es ist Zeit für ein neues Land: Ecuador. Die Einreise gestaltet sich langwierig. Eine Menschenschlange mit einer Wartezeit von knapp fünf Stunden bildet sich vor dem Grenzgebäude. Es ist Nacht und es ist ordentlich kalt. Während ich in Kolumbien noch in T-Shirt rumlief, stehe ich jetzt leicht frierend in meinen dicken Klamotten mit Mütze und Handschuhen. Irgendwann läuft ein Beamter die Reihen ab und fragt nach Reisepässen. Jo, ich hab einen. Na, dann kann ich in wenigen Minuten über die Grenze. Ja, sag das doch gleich. Nur noch schnell zu „Aduana“, denn das Beast braucht auch noch ihre Genehmigung und schon bin ich in Ecuador. Eigentlich hatte ich keine rechte Vorstellung von dem Land. Halt irgendwie wie Kolumbien, aber vielleicht ein bisschen anders. Aber tatsächlich ist es die Hochglanzausgabe von Kolumbien. Kaum Straßen in schlechtem Zustand. Die Städte sind überaus sauber und man sieht am Wochenende auf den Landstraßen unzählige Sportgruppen, die mit modernen Rennrädern die Berge rauf und runter flitzen. Selbst die ärmeren Vierteln in den großen Städten, wie z.B. Quito sind nicht wirklich beängstigend. Dank meiner begrenzten Ortskenntnisse bin ich durch eines dieser Viertel mit dem Motorrad gefahren. Es war Sonntag morgens und es war relativ ruhig und plötzlich ergab sich ein toller Blick über Quito. Daher wagte ich es, mein Handy zu nehmen und ein Foto zu schießen. Undenkbar in einem Armenviertel in Kolumbien oder Brasilien. Also steh ich da am Straßenrand und konzentriere mich auf das Bild als plötzlich von hinten zwei Männer kommen, die auch gleich etwas rufen. Ok, scheint hier doch auch keine gute Idee zu sein. Aber sie bieten mir an, dass sie ein Foto von mir machen mit Quito im Hintergrund. Äh…ok. Also drück ich sorglos mein Handy einem der Männer in die Hand, das womöglich soviel kostet, wie sie im ganzen Jahr verdienen und er macht ein Bild von mir…nachdem ich ihm erkläre, wie es funktioniert. Mit einem stolzen Lächeln zeigen sie mir das Bild, geben mir das Handy und wünschen mir einen schönen Tag. Sollte man in Kolumbien nicht unbedingt erwarten.
Der Reiseführer meiner Wahl lobte Quito zu Recht…was für ein quirlige aber dennoch angenehme Großstadt. Da die Lobeshymne des Reiseführers ebenso für Guayaquil ertönt, nehme ich einen gewissen Umweg in Kauf und will mir die hochgelobte Flussuferpromenade gönnen. Wer auch immer das ebenfalls vor hat: Spart es Euch! Lohnt nicht. Ne braune, stinkende Kloake zieht an einer überlaufenen Promenade vorbei, die zwar im Herzen der Stadt liegt…das Herz ist jedoch durch mehrere Infarkte schon so tot, dass das Volk wohl nur noch am Wochenende zur Totenfeier reinschaut…oder halt tagsüber, um zur Arbeit zu fahren und dabei die Innenstadt mit den Abgasen vollzupesten. Kurzum: Lohnt nicht!
Cuance ist da schon um einiges attraktiver. Sicherlich etwas zu sehr von Touristen überlaufen…wobei das in einem Land wie Ecuador relativ ist. Man kann hier ne viertel Stunde lang durch die Straßen laufen ohne auch nur einen anderen Touristen zu sehen, aber man sieht sie irgendwann dann doch…und man ist ja verwöhnt.
Während ich meine letzten Aufnahmen der Stadt so auf der Straße ansehe, spricht mich ein Amerikaner an: James aus Bremerton, unweit von Seattle (wo ich ja wohne), der seit knapp einem Jahr in Cuance lebt. Spontan lädt er mich zum Mittagessen ein. Eine kurzweilige Stunde vergeht, bei der er mir seine Geschichte als Gefängnisinsasse, Ölarbeiter, Krabbenfischer und nun Dauerurlauber mit nem stattlichen Einkommen erzählt. Kurz danach erkunde ich allein weiter die Stadt. Aber eigentlich will ich nun dann doch bald nach Peru. Durch phantastische Landschaft mit übergrünen Bergen geht es immer weiter zur Grenze.
Im Geiste packe ich schon meinen Schlafsack aus, in dem ich an der Grenzstation schlafe, da ich noch die Erinnerung von den Menschenmassen an der kolumbianisch-ecuadorianischen Grenze in Erinnerung habe. Ich werde jäh enttäuscht: Ich bin der Einzige! Somit bleibt dann doch noch Zeit, um in die nächste Stadt zu fahren und eine feste Unterkunft zu finden. Der Weg nach Lima ist lang und geht erstmal stundenlang durch Wüste mit Behausungen in fraglicher Stroharchitektur und dann an der Küste entlang.
Mit unzähligen LKWs, da es die einzige große Verbindungsstraße ist. Nicht wirklich angenehm zu fahren, weswegen ich beim ersten Anblick der Berge entscheide, zumindest einen kleinen Abstecher dorthin zu machen. Laut Karte ist es ja nur ein Umweg von vielleicht 100km.
Das ist so gesehen auch korrekt…allerdings brauche ich für diese extra 100km etwa sechs Stunden. Ein Bergpass sondergleichen…unzählige kleinste Haarnadelkurven…auf Schotter. Nun, über zu viel Andrang brauche ich mich nicht zu beklagen. Die Bewohner der Ortschaften, durch die ich fahre, sind auch schwer erstaunt, was ich hier mache. Als der Tag zu Ende geht, schlag ich mein Zelt am Wegesrand auf und starte in den frühen Morgenstunden wieder los. Kurz nach Sonnenuntergang bin ich dann in der Hauptstadt angekommen…was für ein Gegensatz: Morgens noch allein in der Wildnis und jetzt inmitten von acht Millionen Menschen.
Hier muss ich wieder eine kleine Zwangspause einlegen. Aus mir unerfindlichen Gründen ist das Kugellager von der Gabel noch vor dem Unfall gebrochen, was jedoch mangels Ersatzteil noch nicht gerichtet werden konnte. Das erledige ich dann mal selbst. Außerdem sind die Motorstopps wieder zurück. Auch das soll nun endgültig gerichtet werden. Dauert halt nur. Aber das soll es dann bitte mit den Werkstattaufenthalten gewesen sein…sonst nenn ich alsbald jemand wieder nur noch „Diva“.