Etappe 2: Seattle – Lewiston – Twin Falls – Salt Lake City: Nur mal eben über die Berge

Der Winter naht und das bedeutet trotz Klimawandel letztlich auch Schnee in den Breitengraden, in der meine Maschine und ich uns befinden. Motorrad und Schnee ist eine Kombination, die man tunlichst vermeiden sollte. Daher entsteht äußerst kurzfristig die Idee, das anstehende Oktoberwochenende zu nutzen, um das Beast mehr Richtung Mexiko zu bewegen und dann dort gut unterzubringen. Denn dann bestünde theoretisch die Möglichkeit in den Wintermonaten durch Mexiko zu reisen. Klingt super…und wo finde ich mich am besagten Wochenende wieder? Mitten im Schnee…

Donnerstag abends packe ich meine Sachen. Das neue Zelt wird sicher in einen der Seitenkoffer verstaut. Die Isomatte findet sich dreifach gesichert auf dem Gepäckträger und der neue Schlafsack ist in sicherer Entfernung zum Auspuff untergebracht. Man lernt ja dazu. Freitag Nachmittag direkt nach der Arbeit geht es durch den kalten Seattle Regen und unangenehmen Windböen Richtung Ost-Washington. Kaum bin ich über die Northern Cascades schlägt auch spontan das Wetter um und ich befinde mich inmitten eines perfekten Indian Summer-Tages.

So darf es gern weiter gehen. Die Sonne geht in beeindruckender Szenerie unter und ich stelle das erste Mal fest, dass die seit Alaska dauerblinkende Fehlermeldung in der Armatur über ein angeblich defektes Abblendlicht just in diesem Moment der Tatsache entspricht. Somit stellt sich die Frage: Wer reitet so spät durch Nacht und Wind? Es ist der Schachti…und der fährt blind. Aber das gibt mir nach dem etwas abenteuerlichen Ritt durch die Dunkelheit die Möglichkeit etwas amerikanische Kultur aufzusaugen, die ich nicht bewusst gesucht hätte: Wie der Zufall es so will, komme ich an einem Harley Davidson Geschäft vorbei. Das erste Mal überhaupt, dass ich in einen Laden dieser uramerikanischen Motorradmarke gehe. Klar, dass sie keine passende Ersatzbirne haben…aber letztlich egal, denn ich platze in eine Halloween-Party, in der der gesamte Harley Davidson Laden in pink (warum eigentlich pink?) dekoriert ist. Ein paar unmaskierte Harley Rocker verteilen Süßigkeiten an maskierte Kinder, die leicht überdreht (es ist ja schon recht spät) zwischen den ausgestellten Maschinen (mit Totenköpfen…keine Halloween-Deko) hin und her laufen während aus den leicht übersteuerten Boxen ohrenbetäubender 80er-Rock läuft. Erschreckend. Aber das soll es ja wohl auch sein.

Am nächsten Morgen werde ich woanders fündig und ich freue mich, trotz angekündigter Schlechtwetterfront, auf einen weiteren sonnigen Tag in den Bergen Idahos. Die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt…aber sie stirbt. Irgendwie habe ich morgens wohl aus Versehen den Knopf „intensiv Autowäsche“ gedrückt: Zuerst werde ich komplett per Regen eingeweicht, dann dank fiesesten Sturmböen hochdruckgestrahlt, um dann klargespült zu werden. Zum Abschluss wartet dann der warme Trockengang, der leider aus organisatorischen Gründen ausfiel und durch eine Gefriertrocknung ersetzt wird. Anschließend fühle ich mich nicht bereit für den aufkommenden Schnee in den Bergen. Mittlerweile trage ich sämtliche Klamotten und nutze jede Tankpause, um mich im Inneren der Tankstellen mit heißem Kaffee aufzuwärmen. Die Idee, über die spektakulären Bergpässe zu fahren verschiebe ich auf unbestimmte Zeit und nehme den weniger winterlichen Weg nach Boise (Idaho). Trotzdem komme ich in den unvergleichlichen Genuss zuerst das Beast durchs Schneegestöber zu pflügen, um dann bei wieder leicht steigenden Temperaturen hinter Boise die Segeleigenschaften im aufkommenden Sturm zu testen.

Komplett durchfroren komme ich an meiner Unterkunft an und will nur noch duschen, mich ins Bett legen und wie ein Mann weinen. Aber ich habe Hunger, weswegen ich es erst mal beim Duschen belasse und der Haut-Cuisine der lokalen Fastfood-Kochkunst einen Besuch abstatte. Wie ein Stein falle ich ins Bett und wache morgens bei bestem Sonnenschein auf. Beim Frühstück läuft ein Wettersender im Fernsehen, der vom spontanen Wintereinbruch in Teilen der USA berichtet und weitere Schneemassen prophezeit. Jetzt schmeckt der viel zu dünne Kaffee umso besser, denn letztlich zeigt die animierte Wetterkarte, dass ich mich auf der sonnigen Seite des Wettergottes befinde. Vergessen sind die Mühen des Vortages und ich plane meinen Weg nach Salt Lake City durch die Berge. Wird schon gut gehen…und es ging gut! But so what from!


Irgendwann finde ich mich wild grinsend in ständig wechselnder Schräglage wieder, ohne dass man Windböen dafür verantwortlich machen könnte. Es sind die verboten gut verlaufenden Bergstraßen, die das Beast zum Kurvenräuber werden lassen. Das Einzige, was man hier im Auge behalten sollte, neben der schönen Landschaft, sind vereinzelte Rinder, die sich auf die verlassene Straße verirren.


Ein Blick auf die Karte verspricht noch viel mehr solcher Strecken im weiteren Verlauf, aber ich benötige noch einen sicheren Verbleib für meine Maschine, bevor es für mich zurück nach Seattle geht. Anstatt für mehrere hundert Dollar einen Parkplatz am Flughafen nehme ich lieber eine kleine absperrbare Garage im mittleren zweistelligen Bereich. Die Angestellte vom Mietlager empfiehlt mir dann noch den Besuch eines Canyons in der Nähe, nennt mir aber leider den falschen Namen des zugehörigen State Parks, weswegen ich dann zwar in den Genuss eines kleinen Bachs komme, der Anlaufpunkt vieler Angler ist, aber halt keinen Canyon zum Abschluss der Etappe erblicke. Noch einmal geht es in die Berge, um den Blick in die Ferne schweifen zu lassen.

Da es mein erster Besuch in Salt Lake City ist, statte ich dem Temple Square einen Besuch ab und fühle mich fast heilig bei der Masse an religiösen Einrichtungen. Ich entscheide, dass so ein Heiligenschein aber einem Motorradhelm nur ungünstig im Weg steht und widme mich den weltlichen Genüssen, wobei ich meinen Kalorienspeicher wieder ordentlich auffülle.

Zuvor bringe ich die Maschine in die kleine Garage. Beim Verschließen des Lagers frage ich mich, wie gut der Plan des etappenmäßigen Reisens wirklich aufgeht. Das dürfte wohl eines der besseren Lagerplätze sein. Wo wird die Maschine auf dieser Tour noch so untergebracht werden? Ein bissl Bang ums Herz wird’s mir schon, dass man zur nächsten Etappe aufbrechen will und man am angestammten Lagerplatz nur Leere wiederfindet. Aber aus Erfahrung weiß ich auch, dass man sich meist viel zu viele Gedanken über Probleme macht, die sich gerne im Nichts auflösen. Damit beschließe ich die zweite Etappe, die trotz der Kürze eines Wochenendes abenteuerlich aber insbesondere anfangs und abschließend wunderschön war.

Während das Beast seinen verdienten Schönheitsschlaf macht, düse ich durch die Nacht nach Seattle zurück mit der starken Hoffnung, dass die „Fire ’n Ice“-Tour doch ein bissl weniger „Ice“ bei der nächsten Etappe bietet.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert