Etappe 4: Laredo – Saltillo – Guanajuato – Mexico City: Zu zweit durch Mexiko

Auf der letzten Etappe kam es zu einem überraschenden Telefonat mit der Heimat und am Ende des Gesprächs stand die Überraschung fest: Diese Etappe werde ich größtenteils nicht alleine unterwegs sein müssen! Wir sind schon mal zusammen für eine Tagestour mit dem Motorrad unterwegs gewesen und haben auch schon die ein oder andere Nacht durchgefeiert…naja, vielleicht nicht bis zum Morgengrauen, aber bis Schankschluss und jetzt fliegt sie aus dem kalten Deutschland, um das Abenteuer einzugehen, für mehrere Tage durch die, für uns unbekannten, Weiten Mexikos auf zwei Rädern zu erkunden. Ich kann mir niemand Besseres für diese Tour vorstellen.

In Dallas treffen wir uns und steigen gemeinsam in die deutlich verspätete Maschine nach Laredo, Texas. Kurz vor 2 Uhr nachts landen wir und fallen nur noch ins Bett. Knapp drei Stunden später geht’s auch wieder raus aus den Federn, um endlich das Motorrad aus dem Lager zu holen und so schnell wie möglich über die Grenze zu kommen. Aber für ein erstes Gruppenfoto muss die Zeit noch reichen: Sarah-Jane (kurz SJ) die Schöne und das Biest (mit Brille) und „the Beast“.

Aber bevor jetzt Gerüchte aufkommen: Wir sind einfach nur richtig gute Freunde.

Rauf auf’s Motorrad und mit Vollgas … in den Stau. Es ist ja kurz vor Weihnachten und viele Mexikaner wollen ihre Familien zuhause besuchen. Tolles Timing. Aber zumindest regnet es nicht und kalt ist uns auch nicht…ganz im Gegenteil: Ein Königreich für eine Klimaanlage!

Kurz vor der Grenzkontrolle stell ich die Maschine ab, um zu eruieren, inwieweit man das Prozedere an der Grenze beschleunigen kann. Ich bin keine fünf Minuten weg und SJ gibt ihr erstes Interview für die lokale Presse. Das war ja so klar…aber es freut mich total für sie. Der Reporter stellt mir dann auch noch ein paar Höflichkeitsfragen, macht ein paar Bilder von uns Dreien und zieht weiter. Wir ziehen auch mal ganz schlank an den wartenden Autos vorbei, um uns dann die nächsten zwei Stunden durch den Behördenwahnsinn zu quälen. Eigentlich ist es gar nicht so dramatisch, wenn nicht mit uns mehrere hundert andere Reisende in der Halle wären. Als ich zuvor erzählt hatte, dass es nun durch Mexiko geht, bekam ich oft den gutgemeinten Hinweis, dass man quasi mit seinem Leben abschließen sollte, denn die Überlebenschancen wurden bestenfalls auf Null geschätzt. Zumindest wird man ausgeraubt. Wenn man Glück hat, nur materielle Dinge, aber eventuell gibt man unfreiwillig seine Organe ab. Der Rest wird verscharrt. Dieses leere Versprechen wurde mir bei meiner Fahrt durch Kasachstan auch gegeben, und was war? Ich hatte ne tolle Zeit! Kurzum: Die erste Probe hat Mexiko bestanden: Nach zwei Stunden kommen wir zum Motorrad zurück, das wir nicht im Auge belassen konnten und finden es genauso vor, wie wir es verlassen hatten. Weitere Proben werden folgen.

Wenn sich alles vor der Grenze staut, dann wird’s doch nach der Grenze besser laufen? Selten so gelacht… Nächster Stau…und es wird nicht der Letzte sein. Zum Glück sind wir auf nem Motorrad unterwegs, die Fahrstreifen sind breit und die Mexikaner tolerant. Daher eröffnen wir spontan eine weitere Spur und kommen so zumindest etwas voran, während die Autofahrer mittlerweile schon auf der Straße picknicken. Das zuvor gesetzte Tagesziel erreichen wir natürlich nicht, aber morgen ist ja auch noch ein Tag. Den ersten Abend in Mexiko begießen wir gebührend mit mexikanischem Bier.

Auf der Straßenkarte sehe ich nen kleinen Gebirgszug mit ner kleinen Straße…das sieht doch gut aus. Somit ist der Weg für den zweiten Tag auch schon festgelegt. Wir brauchen auch nur knapp 70 km Autobahn, um dort hin zu kommen. Doof, dass davon knapp 50km Stau sind. Irgendwann lassen wir aber die Automassen hinter uns und genießen die einsame Strecke entlang der Berge. Ein weites offenes Feld lächelt uns so an, dass wir spontan entschließen, ein paar Fotos zu machen. The Beast wird künstlerisch wertvoll auf die Seite gelegt und fertig ist der Hintergrund für die Fotosession.


Was lernen wir daraus? Kleine Straßen inmitten von Bergen sind gut! …ich werde noch am selben Tag das soeben Gelernte vehement verneinen. Und das kommt so: Die Strecken sind lang und die Geschwindigkeit, die man hier fahren kann, liegt deutlich unter der, was man sonst so gewohnt ist. Die Tage sind kurz im Dezember…auch in Mexiko. Also entweder fährt man nicht so weit am Tag oder man ignoriert sämtliche Hinweise bezüglich Fahren in der Dunkelheit in Mexiko und gibt den fiesen Organhändlern eine Chance. Wir entscheiden uns für Letzteres, da das ja kein Pauschalurlaub sein soll. Es ist aber nicht sonderlich einfach auf diesen Straßen im Dunkeln zu fahren, daher bin ich froh, dass ein Jeep direkt vor mir her fährt, der auch die ganzen Abkürzungen durch die Ortschaften kennt. Umgehungsstraßen gibt’s hier nicht. So kommen wir recht zügig voran. Irgendwann verliert die Straße an Asphalt und ich entscheide mich, nochmal auf die Karte zu sehen. Ach, wir hätten kurz vorher abbiegen sollen. Das kann ich gleich den acht Polizisten mit Schussweste und Sturmgewehr, die uns mittlerweile umzingelt haben, auch erklären. In einem beinahe freundlichen Ton sprechen sie uns an. Das Prozedere kenn ich: Helm ab, lächeln, Situation erklären, nicht ihre Mutter beleidigen. Ich frage höflich, ob einer Englisch könne. Reaktion: „Ah, Gringos!“ Natürlich kann keiner Englisch, aber zumindest haben wir den Verdacht ausgeräumt, dass wir den Jeep-Fahrer allzu schief anschauen wollten. Leider kennt keiner der Polizisten den Nachbarort, den wir anpeilten, geschweige denn den Weg dorthin. Klar, Polizei. Kennt sich in der Gegend nicht aus. Besser weg. Irgendwann finden wir die richtige Abzweigung und ich kann das Feierabendbier schon direkt vor mir sehen! Laut Karte sind’s keine 50km mehr. Naja, der Asphalt bekommt Löcher, besser runter vom Gas. Irgendwann sind die Löcher in der Mehrheit und irgendwann gibt’s gar keinen Asphalt mehr. Puh…und das im Dunkeln. Kann man machen. Die Dörfer werden immer uriger. Pferde sind gegenüber Autos dann auch in der Überzahl…kein Wunder bei den Wegen. Es ist mittlerweile eine richtige Geländefahrt. Und es wird heftiger, je weiter wir kommen. Es geht steil bergab, um dann unmittelbar wieder steil bergauf zu fahren. The Beast kämpft uns jedes Mal durch. Teilweise liegen nun grobe Felsen auf dem Weg. Bloß nicht absteigen und anfangen zu zweifeln. Vom Felsverlauf her zu beurteilen, fahren wir auch direkt an Abhängen entlang. Wie tief sie sind? Dank der eingebrochenen Nacht, obliegt es allein der Phantasie, sich das auszumalen. Noch ein paar schwere Löcher, denen ich aufgrund der Abhänge nicht ausweichen will und plötzlich befinden wir uns auf nahezu perfektem Asphalt. Anhalten, durchschnaufen, absteigen und die verbale Ohrfeige abholen, auf die ich mich schon ab der Hälfte der Strecke vorbereitet habe. Es ist für SJ gerade mal das dritte Mal überhaupt, dass sie auf einem Motorrad sitzt. Dann nachts durchs Gelände. Ne, so macht man sich keine Freunde. Mit einem verbissenen Lächeln meine ich dann nur „Krasse Scheiße hier“. Darauf SJ: „Ich fand’s ziemlich cool! Ab und zu dachte ich, jetzt wir fliegen ab, aber das hast ja dann doch ganz gut hingekriegt!“ Klasse…und wo habe ich nun meinen Notfall-Heiratsantragsring, den man genau für solche Momente braucht? Richtig: Schlecht vorbereitet. Aber ich kann mir schon denken, was sie geantwortet hätte: „Ne, lass mal. Ein Bier wäre mir jetzt lieber.“ Und genau deswegen, sind wir zwei auch auf Tour und verstehen uns so blendend. Das Bier gab’s dann zum glücklichen Ende hin an einem Essensstand direkt an der Straße, kurz bevor wir, nur der Erinnerung wegen, bei einem Zementwerk einbogen, da das Navi ein wenig verrückt spielte.

Tags darauf geht’s endlich nach Guanajuato, was von der UNESCO zu einem der Top-10 Städte 2017 gekürt wurde. Zu Recht. Ein paar viele Touristen, aber ansonsten sehr angenehm. Stadtführungen finden hier in Begleitung von einer traditionellen Musikergruppe statt. Man spaziert von historischem Platz zu historischem Platz und die Musiker spielen, singen, tanzen und erzählen einem etwas dazu. Halt alles nur auf Spanisch. Mit Englisch kommt man insgesamt in diesem Land nicht sehr weit. Umso mehr sind wir beide erstaunt, als uns einer der Musiker auf Deutsch anspricht. Leicht perplex bleiben wir stehen und kommen ins Gespräch. Dario, so heißt er, war für einige Zeit als wandernder Musiker in Europa unterwegs und hatte somit auch etwas Deutsch gelernt. Spontan beschließt er, uns eine ganz eigene Stadtführung zu geben. Während danach Dario zurück muss, um seine eigentlichen Auftritte machen zu können, lassen wir den Abend auf einem der kleinen Plätze ausklingen.




Bloß nicht zu spät ins Bett, denn am folgenden Tag, am Weihnachtsabend, geht’s in die Hauptstadt! Ich habe einen gewissen Respekt vor dieser Stadt, denn in sämtlichen Berichten, die ich gesehen oder gelesen habe, wird der dichte, anstrengende Verkehr betont. Klar, ich bin schon durch Wladiwostok, Tokio oder Tashkent gefahren, aber Mexico-City ist da wohl nochmal ne andere Liga. Ist es auch tatsächlich. Kreisklasse, um genau zu sein. Gähnende Leere! Da ist selbst in meinem 2.000 Seelen-Heimatort mehr los…Sonntag nachts. Kein Scherz. Es liegt wohl an Weihnachten. Es sind entweder alle aus der Stadt geflüchtet oder haben sich zu Hause verbarrikadiert. Das größte Problem für SJ und mich wird es dann auch sein, überhaupt irgendetwas in dieser Stadt zu finden, wo wir gebührend Weihnachten feiern können. Sämtliche Empfehlungen aller Reiseführer haben geschlossen. Ein Hotelrestaurant nimmt sich den Herumreisenden an und bietet eine sehr laute Variante von Weihnachten. Egal. Wir machen das Beste daraus und genießen diese einzigartige, wenn auch sonderbare Situation. Vom obersten Stockwerk betrachten wir dann diese riesige Stadt, die zu Weihnachten als Kulisse für einen Tag-nach-Apokalypse-Film herhalten kann. Mit Blick auf die noch verfügbaren Tage und was wir alles noch sehen wollen (eine verlassene Stadt hatten wir erst mit Chichen Itza gerechnet), beschließen wir, Mexico-City zu verlassen.




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